Page 22 - lucy und das wesen der dinge leseprobe
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Holzfenster, aus denen ein warmes Licht in den Hof fällt.
               Über der großen, antiken Holztür hängt ein Schild, auf
               dem in goldenen Buchstaben der Hotelname steht. Beim
               Öffnen  knarrt  sie  schwerfällig.  Ich  stelle  meine  Tasche
               vor der Rezeption auf den Boden. Eine Beleuchtung aus
               der urigen Gaststube und ein aromatischer Duft aus der
               Küche bilden mein Empfangskomitee. Ich rufe auf Spa-
               nisch: »Hola!« und schaue erwartungsvoll, ob jemand ant-
               wortet. Mein Blick schweift interessiert durch den Raum.
               Das Gasthaus hat schon so manchen Sommer hinter sich,
               aber es bietet einen eigenwilligen Charme durch die abge-
               wetzten  Terrakottafliesen,  die  dunklen  Holzmöbel  und
               die  vielen  Kerzenleuchter,  auf  denen  unzählige  Kerzen
               gegen die Dunkelheit ihr Licht präsentieren.
                  »Buenos noches Señora Lucera, herzlich willkommen
               in  Moraira.«,  erklingt  wie  aus  dem  Nichts  eine  sonore
               Stimme  hinter  mir.  Aus  meinen  Gedanken  gerissen,
               drehe  ich  mich  abrupt  um  und  halte  für  den  Bruchteil
               einer Sekunde den Atem an. Die tiefgründigsten Augen,
               die ich je gesehen hatte, durchdringen meinen Blick. Ein
               sinnlicher, fast jungenhafter Mund steht in herbem Kon-
               trast zu der wettergegerbten Haut des älteren Mannes vor
               mir. Die grauen Haare reichen ihm bis zu den Schultern.
                  »Oh, Sie sprechen deutsch«, sage ich erfreut über eine
               unkomplizierte Begrüßung. Er nickt mir mit einem warm-
               herzigen Lächeln zu. »Sie hatten einen erfüllenden Weg
               hierher?«  Eine  komische  Formulierung.  Möglicherweise
               sind seine Deutschkenntnisse doch nicht so gut? »Danke
               ja, die Fahrt war angenehm.«
                  »Das freut mich«, antwortet er lächelnd und hält mir
               ein  Formular  zum  Einchecken  entgegen.  Ich  fülle  alles




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